A MISSIONARY OF TATTOOING

Text: Leonie Volk
Foto: Ollie Adegboye

Pragmatismus und Spaß sind Maxime Büchis Motor. Der Tätowierer führt eines der hippsten Tattoo-Studios mit Sitz in London und Zürich. Aber Büchis Ideen reichen über das Tätowieren hinaus: Sang Bleu ist nicht nur Tattoo-Studio, sondern auch eine Kreativagentur. Neben Branding und eigener Produktionen verlegt Maxime ein Avantgarde-Magazin und kooperiert mit Modemarken.
Dabei arbeitet der Visionär stetig daran, Sang Bleu auch ­finanziell tragfähig zu machen. Nachwuchstalenten gilt der „Selfmade-Man“ Maxime deshalb als Vorbild. Im Gespräch mit COMPANION spricht er über das Tätowieren als visuelle Kultur, die Kunst der Kooperation und seinen Einfuss auf junge Kreative.

COMPANION: Maxime, als Du vor sieben Jahren mit dem Tätowieren angefangen hast, haftete Tattoos noch etwas Subkulturelles an. Heute werden sie zunehmend Bestandteil der modischen Mainstreamwelt. Wie beeinflussen sich diese beiden Welten gegenseitig?
Maxime Büchi: Tattoos und Mode werden gleichermaßen als Werkzeuge des Ausdrucks genutzt, obwohl ihre Wirkungen von unterschiedlicher Dauer sind. Die Ästhetik, die gerade gefragt ist, findet sich in der Mode wieder. Die Tattooszene wiederum ist die letzte Alternativkultur, die noch nicht vollständig gentrifiziert und kommerzialisiert wurde. Sie ist deshalb ein Anknüpfpunkt der Mode zur Jugendkultur.

Was bedeutet das für Deine Arbeit?
Heute sind Tattoos für jeden zugänglich, haben die Grenzen zwischen unterschiedlichen sozialen Milieus und Kulturen überwunden. Die Tattookultur muss sich deshalb neu orientieren und schrittweise in den Mainstream integrieren. Nur so kann sie relevant bleiben. Sie muss eine Bildsprache entwickeln, die sich nicht nur an Personen aus der Alternativszene richtet. Für meine
Tätowierungen spiele ich mit Referenzen aus der Kunst, der Architektur und Gravur, weil die Menschen mit diesem Kulturgut aufwachsen und sich damit identifizieren.

Tattoos sind trendy geworden. Ist das nicht etwas widersprüchlich, wenn man bedenkt, dass sie ein Leben lang halten sollen?
Nein, weil Tattoos nicht nur trendy sein wollen. Auf den Trend folgt eine Neuerung. Wie viele Menschen haben sich die Pokémon-App heruntergeladen, spielen aber gar nicht damit? In fünf
Jahren werden einige die App bis zum Ende durchgespielt haben und andere bei der Hälfte ausgestiegen sein. Mit dem Tätowieren ist es das Gleiche. Einige werden herausfinden, dass ihnen die Sache gefällt, andere nicht. Beides ist in Ordnung. Der Trend wird schrittweise abnehmen und zurück bleibt eine tiefgreifend veränderte Wahrnehmung unserer Gesellschaft gegenüber Tattoos.

Was macht denn eigentlich ein gutes Tattoo und einen guten Tätowierer aus?
Die Begegnung zweier Menschen am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Tätowierer und Kunde müssen einander vertrauen. Es geht nicht darum, es gut, sondern richtig zu machen. Ein schlecht gestochenes Tattoo kann für den einen das Richtige sein und ein sehr gelungenes Tattoo kann langweilig und falsch an einem anderen aussehen.

In diesem Jahr hast Du mit dem Schweizer Uhrenhersteller Hublot zusammengearbeitet. Wie kam es zu der Kooperation?
Ich bin schon lange an der Uhrenbranche interessiert. Tattoos, genauso wie auch Uhren, sind eine Investition. Nicht nur monetär, sondern auch weil man mit ihnen Zeit und Gefühle verbindet. Hublot ist im Gegensatz zu konservativen Uhrenherstellern für seinen Wagemut bekannt. Sie haben mir größtmöglichen Gestaltungsspielraum gegeben. So etwas kennt man sonst gar nicht. Wie oft kriegt man schon einen Freibrief, das zu tun, was man möchte?

Du hast mit Hublot, aber auch mit Modemarken wie Alexander McQueen oder Mugler kooperiert. Macht es einen Unterschied, nur für sich als Künstler zu arbeiten oder eine Kooperation einzugehen?
Anstatt mich gegen die Kommerzialisierung des Tätowierens aufzulehnen, habe ich beschlossen, mich der Bewegung zu öff­nen und ein Missionar für die Tattoo-Kultur zu werden. Ich möchte sicherstellen, dass die Schönheit und Stärke des Tätowierens in dieser Phase nicht verloren geht.

Sang Bleu ist mehr als nur ein Tattoo-Studio oder eine Agentur, sondern erinnert vielmehr an eine Bewegung oder eine Jugendkultur für den kreativen Nachwuchs. Warum, denkst Du, hat Sang Bleu so viele Anhänger?
Der Mainstream hat sich der Tätowierkunst bedient, wodurch sich die Rolle des Tattoos veränderte. Ich habe aus meinem Lebensstil ein Geschäft gemacht, ein Leben für mich und meine Familie gescha­en. Jetzt fragen sich andere, wie sie das Gleiche in ihrem Gebiet erreichen können. Unter diesem Aspekt könnte man Sang Bleu schon als politisch bezeichnen, denn letztlich definiert es eine Lebenshaltung ausgehend von einem künstlerischen Projekt. Anstatt auf den Durchbruch bei einem Musiklabel zu warten oder darauf, dass eine Galerie deine Arbeiten verkauft, sagt man sich: „Nein, ich gehe das eigenständig an. Ich muss nicht Teil des Systems werden – ich kann das System sein.“

Dieser Artikel ist im Companion Magazin No.9 im Januar 2017 erschienen

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