DIE MULTIKULTURALISTIN DER MODE


Die britische Menswear Designerin macht Mode zwischen europäischem Luxus und afrikanischen Einflüssen



Text: Leonie Volk
Illustration: Caroline Marine Hebel

Man könnte sagen: Grace Wales Bonner ist von Geburt an Multikulturalistin. Und so ist auch ihre Mode ein Hybrid aus europäischem Luxus und afrikanischen Einflüssen. Das Bühnenkostüm der Alternative-Sängerin FKA Twigs bestickte der Shootingstar der britischen Männermode deshalb auch mit Swarovski-Steinen – als Symbol für westlichen Luxus – und Kaurischnecken, die man in Afrika früher als Zahlungsmittel nutzte.

Die Tochter eines Jamaikaners und einer Britin wuchs in einer „weißen“ Gegend im Südosten Londons auf. Ihr Umfeld zwang sie bereits im Teenageralter, sich zu einer Ethnie zu bekennen. Um Authentizität zu suggerieren, stellte man sie vor die Wahl: Kleide dich wie eine Weiße oder flechte dir die Haare wie eine Schwarze. Die Klassifizierung in Schwarz und Weiss fand sie befremdlich.

Dennoch begann sie sich für „schwarze“ Kultur zu interessieren. Zunächst überlegte sie, britische Literatur oder Geschichte zu studieren – bis sie erkannte, dass Mode ihr Sprachrohr ist, um sich mit ihrer Herkunft auseinanderzusetzen und ihren Identitätskonflikt zu verarbeiten. Ein Grund, warum Wales Bonners Herangehensweise als akademisch gelten kann und über die Grenzen des kommerziellen Modedesigns hinausgeht.

Wie eine Ethnografin studiert sie Kolonialgeschichte. Sie liest, sammelt Referenzen, spinnt Geschichten um ihre Kollektionen. Einmal geht es um den äthiopischen Sklaven Malik Ambar, der im 16. Jahrhundert lebte, nach Indien verschleppt und dort zum regionalen Regenten wurde. In einer anderen Kollektion dreht sich alles um schwarze Spiritualität und den afrikanischen Futurismus der 70er Jahre. Wales Bonners Mode ist narrativ und bewegend.

Sie beweist, dass sich Mode sinnstiftend mit Herkunft, Kultur und Identität auseinandersetzen kann – und gerade deshalb nicht einfach platt folkloristisch daherkommen muss. Sie behandelt ihre Referenzen mit großem Respekt und bereichert sich nicht ausschließlich an fremden Kulturen. Die persönliche Verbindung zu jeder ausgewählten Thematik sieht man der Kleidung an. Durch die präzise Verarbeitung und Anwendung von Couture-Techniken wirken ihre Ideen aber nie banal oder gar kindlich naiv. Stattdessen schafft sie es, ihre eigene Herkunft und Vergangenes zeitgemäß und kunstvoll in ihre Mode einzuweben.

Umso ärgerlicher, dass Wales Bonner trotz modischer Vielschichtigkeit zeitweise immer noch auf einfache Botschaften reduziert wird. So wurden auch ihre Castings zunächst fehlerhaft interpretiert. Für ihre ersten Kollektionen castete sie nämlich ausschließlich Models mit afrikanischem Hintergrund. Grund genug, ihr nachzusagen, dass sie politische Mode mache und die unterrepräsentierten Schwarzen in der Mode stärken wolle. Wales Bonner sieht das eher so: Ihre Jungs können am Glaubwürdigsten ihre Vision transportieren.

Und die besteht jenseits des von der Popkultur gezeichneten Bildes des muskulösen, körperlich überlegenen Schwarzen, der Streetwear trägt und mit seinen Gangster-Allüren protzt. Ihre Männer gleichen zarten, stilbewussten Dandies. Im Victoria & Albert Museum präsentieren eine Handvoll afrikanischer Jünglinge ihre aufregend verzierten Knautschsamt-Zweiteiler mit Kopfbedeckungen aus Kristallen, Schlaghosen und Schlapphüten. Wales Bonners Ziel ist es, durch ihre Darstellungen die gesellschaftliche Wahrnehmung herauszufordern und eine Alternative zum vorherrschenden Bild schwarzer Maskulinität aufzuzeigen.

Mittlerweile ist ihr Casting vielschichtiger. Neben ihren afrikanischen Musen laufen Inder und Westeuropäer für sie. Selbst Frauen sind dabei, denn ihre konzeptionelle Mode ist beliebt bei beiden Geschlechtern. Das ist auch kaum verwunderlich, sind ihre präzise gefertigten Stücke doch schmal geschnitten und einige ihrer Kastenjacken prächtig bestickt. Kurze weiße Capes mit Spitzenborte, drapierte Hemden und Mohair-Schlaghosen im 70er-Jahre-Stil sprechen gerade in Gucci- Gender-Bender-Zeiten dafür, dass Wales Bonners Entwürfe geschlechterübergreifend funktionieren.

Dieser Artikel ist in Achtung Ausgabe 32, September 2016 erschienen.

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